Die Zeit vor der großen Wanderung

Ende März - Noch 2 Wochen - Der Countdown läuft

Mein Starttermin ist nun zum Greifen nah. Ich werde oft gefragt, wie es mir geht. Ich habe großes Reisefieber und allerlei widersprüchliche Gefühle: Mal bin ich ungeduldig und will loslaufen, mal denke ich, dass ich doch lieber zu Hause bleiben würde, wo mein Leben wohlgeordnet weitergehen würde. Ich habe meine Ausrüstung längst zusammen und habe den Rucksack probehalber gepackt. Im Wahn meines Reisefiebers frage ich mich permanent, ob ich auch tatsächlich alle Situationen antizipiert und für alle Eventualitäten vorgesorgt habe. Mein Kopf ist voll damit und ich bin zu sonst nichts zu gebrauchen. Dabei ist das unnötig. Es wird sich unterwegs für alles eine Lösung finden.

Wichtig ist jetzt, dass ich es schaffe, loszulassen. Ich möchte meine Arbeit und meine Wohnung gut zu hinterlassen, damit ich gut gehen kann. Darum bemühe ich mich und es gibt liebe Menschen, die mir dabei helfen.

Ende Februar - Noch 6 Wochen - Zeit für praktische Fragen

In meinem Kopf ist kein Platz mehr für Bammel vor dem langen Marsch. Das Thema ist jetzt durch. Es ist Zeit für praktische Fragen. Ich habe zu klären, was mit der Post passiert. Falls etwas Wichtiges dabei sein sollte, wüsste ich meine Angelegenheiten gern in guten Händen. Vor allem frage ich mich, was ich mit meiner Wohnung mache. Ich würde gern ein Zimmer in meiner Wohnung untervermieten. So muss ich für die Miete nicht allein aufkommen, während ich sie nicht brauche und jemand würde sie "beaufsichtigen". Daher suche ich einen temporären Mitbewohner für die Zeit meiner Abwesenheit. Und wenn ich jemanden finde, muss ich die Formalitäten regeln und die Wohnung übergabefertig machen. Das beschäftigt mich im Moment am meisten.

Alles, was ich gerade erledige, ist irgendwie schon Teil der Reise. Aber manchmal geht mir dabei auch einfach zu viel durch den Kopf und er ist kurz vorm Platzen. Neben den rein praktischen Überlegungen, sind da eine Reihe nicht immer ganz rationaler "Was ist, wenn"-Fragen wie z.B. "Was ist wenn etwas Wichtiges mit der Post kommt?", "Wird mit der Wohnung alles gut gehen?", "Was ist, wenn ich krank werde und meine Reise abbrechen muss?" Ich mache mir über manche Dinge viel zu viele Gedanken. Wirklich. Am Ende ist alles halb so wild.

Ich könnte diese Reise gut im Stillen für mich allein machen. Einen Teil davon mit der Öffentlichkeit zu teilen, wirft für mich weitere Fragen auf, z.B. wie ich es mit der Technik halten werde oder ob ich diesen Grad an Aufmerksamkeit überhaupt mögen werde.

Meine körperliche Vorbereitung hat Früchte getragen. Es ist eigentlich nicht notwendig, vor einer Fernwanderung zu trainieren, denn die Stärke, um täglich zu laufen, erwirbt man durch das tägliche Laufen. Dennoch wollte ich gern ausprobieren, ob ich nicht vielleicht doch von einem Training profitiere. Schaden kann es sicher nicht. Neben Skifahren und Joggen habe ich mit dem Boxen begonnen. Durch das Training fühle ich mich bereits jetzt fit, habe Kummer- und Coronakilos verloren und passe wieder in meine alten Sachen.

Anfang Febuar 2023 - Noch 8 Wochen - Vorfreude und Muffensausen

Meine Freistellungsvereinbarung kam per Post. Dieses Dokument regelt meine Beurlaubung. Ich habe lange darauf gewartet, meine Auszeit auch auf dem Papier verbindlich zu haben. Aber um es ehrlich zu sagen, hielt sich meine Freude in diesem Moment in Grenzen. Obwohl ich mich seit Wochen mit den Vorbereitungsarbeiten für meine vier monatige Abwesenheit beschäftige, bekomme ich jetzt doch merklichen Respekt vor der Größe des Geplanten. Angst vor der meiner eigenen Idee macht sich breit. Zusätzlich gibt es auch noch ein paar Unwägbarkeiten, die es noch zu bedenken gibt und die der reinen Vorfreude entgegenstehen.

So schwanke ich zwischen dem Bewusstsein, vier Monate wirklich komplett von Wohnung und gewohntem Alltag getrennt zu sein und ungeduldiger Freude auf die große Wanderung. Nachdem ich so lange geplant, überlegt und fantasiert habe, habe ich die Vorfreude zu schätzen gelernt. Sie hat mich monatelang begleitet und auch die tristesten Tage erhellt. Sich auf etwas zu freuen, ist großartig und man sieht mir die Freude an. Mir wird zudem bewusst, dass ich den Sommer in Stuttgart weitestgehend verpassen werde. Der Sommer ist voller schöner Dinge wie Straßenfeste, laue Sommernächte am Marienplatz oder entspannten Abenden in meinem Garten. Und ich werde die Menschen, die ich mag, eine Weile nicht sehen können. Da ich meinen Alltag so schätze, frage ich mich, was ich mir eigentlich bei diesem Projekt gedacht habe. Hätten es nicht auch ein paar Kilometer weniger sein können? Was habe ich mir da nur eingebrockt? Der Zuspruch, den ich von anderen bekomme, bestärkt mich dann doch wieder in meinem Vorhaben. Und sowieso: Ich tue es, weil ich es nicht lassen kann.

Ich möchte hinaus in die Natur, möchte den Weg unter die Füße nehmen. Ich bin so gespannt auf das, was ich erleben werde, welche Menschen ich treffe, welcher Natur ich begegne und was der Weg an Überraschungen für mich bereithält. Was mir wichtig und wichtiger sein wird und was mit der sich ergebenden Distanz vielleicht auch nicht mehr so bedeutsam sein wird.

Zusätzlich zu der Tourplanung, dem Sammeln der Informationen zu den verschiedenen Wegabschnitten und der Zusammenstellung meiner Ausrüstung habe ich wieder mit Joggen begonnen. Ich möchte gerne mit einem guten Trainingsstand in die große Wanderung einsteigen. Leider sind meine Arbeitstage derzeit sehr voll und es kostet viel Energie, sich abends noch zu einem Lauf durch die Dämmerung zu motivieren. Da hilft dann die Beschäftigung mit den Vorbereitungen und die Vorfreude, die dafür notwendige Motivation zu ziehen.